19.07.2023

Klebstoffe im direkten Hautkontakt

Wenn Klebstoffe für Hautanwendungen geeignet sein müssen – klassisches Beispiel ist das gute alte Heftpflaster – gilt es, eine ganze Reihe von Faktoren zu berücksichtigen. Wie sich zeigt, können Hotmelt-Produkte hier zahlreiche Vorteile ausspielen

Die menschliche Haut mag uns als etwas Alltägliches erscheinen, aber schon eine flüchtige Betrachtung zeigt, dass es sich um ein komplexes und faszinierendes Organ handelt. Die Haut ist nicht nur Sitz des Tastsinns und verantwortlich für das Erfassen und die Weiterleitung von Schmerzempfindungen, sondern auch unsere Aussengrenze, funktioniert als Schutzbarriere gegen Mikroorganismen, Hitze, Kälte und Verletzungen. Sie hilft, die Körpertemperatur zu regeln, speichert Wasser und produziert mit Hilfe von Sonnenlicht Vitamin D. Ihre Poren transportieren Talg und Schweiss. Im Detail ist die menschliche Haut so komplex, dass es bis heute erst ansatzweise gelingt, sie aus menschlichen embryonalen Stammzellen zu züchten, im Gegensatz etwa zu Nierengewebe oder Herzmuskelzellen.

Individuell

Eine derart komplexe Oberfläche stellt höchste Anforderungen an Klebstoffe, die hier haften sollen. Dazu kommt, dass die oberste Hautschicht, die Epidermis, von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein kann: Ihre Eigenschaften variieren je nach Alter, Geschlecht, Ernährungsgewohnheiten, Schweissbildung und Gesundheitszustand des Individuums enorm. Dazu kommen Klimafaktoren vor Ort: Ein Pflaster, welches in Europa hervorragend funktioniert, haftet vielleicht in Asien zu schwach. All diese Faktoren haben einen grossen Einfluss namentlich auf die Adhäsion. Und genau die lässt sich mit Hotmelt-Lösungen in sehr grossem Umfang steuern.

Anspruchsvolle Einsatzgebiete

Soll ein Pflaster speziell geeignet sein für die empfindliche Haut eines Babys? Dient es für Katheterfixierungen, als Augenpflaster oder für chronische Wunden? In diesen Fällen ist eine besonders leichte Ablösbarkeit gefordert, technisch gesprochen ein sehr tiefer Peelwert.

Umgekehrt braucht es einen höheren Peelwert, wenn sich das Pflaster gerade nicht ohne Weiteres abnehmen lassen oder wegen starker Beanspruchung besonders gut haften soll, etwa bei Gelenken, unter der Dusche oder bei starkem Schwitzen.

Grundsätzlich gilt: Das Pflaster soll über die gewünschte Applikationsdauer gut haften bleiben, sich dann aber möglichst schmerzfrei und ohne die Haut zu beschädigen ablösen lassen.

Beim Ablösen zeigt sich ein weiterer Aspekt: Selbstverständlich soll sich das Produkt möglichst rückstandfrei entfernen lassen, ohne irgendwelche Klebstoffspuren zu hinterlassen. Hier kommt es einerseits auf die Kohäsion des Klebstoffes an, andererseits aber auch auf die Verankerung auf dem Trägermaterial.

Die Lösung heisst Hotmelt

Der entscheidende Faktor ist der bereits erwähnte Peelwert. Er gibt an, wieviel Kraft erforderlich ist, um ein Produkt mit dem betreffenden Klebstoff zu entfernen. Der Loop Tack (benannt nach der Schlaufe, in die das zu testende Produkt gebracht wird) gibt spezifisch an, wie schnell eine Haftung entsteht und viel Kraft nötig ist, um einen Klebstoff von einem Substrat zu trennen, unmittelbar nachdem die Materialien ohne zusätzliche Kraft miteinander in Kontakt gebracht wurden. Der Loop Tack dient also dem Vergleich der Anfangshaftung.

Für ein Pflaster, welches beispielsweise für empfindliche Haut geeignet ist, werden Peelwert und Loop Tack möglichst tief gehalten. So eignet sich artimelt Lowpeel für die Wundpflege auf sensitiver Haut insbesondere bei älteren Menschen und Kindern sowie bei Augenpflastern oder Katheter-Fixierungen und für die Versorgung bei Dekubitus. Ist eine etwas stärkere Haftung erwünscht, sorgt man für einen höheren Peelwert. Bei den Hotmelts von artimelt sind Produkteigenschaften von Lowpeel über Gentle- und Mediumpeel bis Strongpeel erhältlich. Ein Strongpeel-Produkt kommt etwa bei Wunden an Gelenken oder anderen Körperstellen, die stark bewegt werden, zum Einsatz. Bei zu hohen Peelwerten geht der hautschonende Effekt verloren.

Komposition

Die grosse Adhäsionsbandbreite lässt sich mit modernen Hotmelt-Formulierungen erzielen. Sie lässt sich zudem mit weiteren Anforderungen kombinieren, etwa einer hohen Atmungsaktivität (breathable) für lange Tragedauer oder einer behandlungsunterstützenden Feuchtigkeitsabsorption (hydrocolloid). Auch sind die Klebstoffe auf Wunsch in Weiss erhältlich, etwa wenn ein Kontrast zum Substrat gefordert ist; diese Hotmelts sind zinkoxid-frei und biokompatibel.

Derart bestechende Eigenschaften können durch spezifische Formulierungen in Kombination mit korrekt dosierten Auftragsgewichten erreicht werden. Bei den Lowpeel Produkten kommt etwa ein neuartiges thermoplastisches Acrylat zum Einsatz; entsprechende Klebstoffe werden mit hohen Auftragsgewichten (100 bis 200 gsm) aufgetragen, fallen besonders weich aus und lassen sich sehr sanft entfernen.

Auch in medizinischen Anwendungen kommen zudem UV-vernetzende Acrylatklebstoffe zum Einsatz und ersetzen immer häufiger Lösemittel- oder wässrige Acrylate. Für jede Anwendung kann das optimale Zusammenspiel von Adhäsion und Kohäsion über das Auftragsgewicht und die Vernetzung eingestellt werden.

Artimelt bietet weitere Lösungen, etwa für konstruktive Verklebungen von Produkten, die ebenfalls mit der Haut in Berührung kommen, beispielsweise Inzisionsfolien bei Operationen.

Den geeigneten Klebstoff finden

Um den geeigneten Klebstoff für ein Produkt mit direktem Hautkontakt zu finden oder zu entwickeln, sind einige Fragen zu klären:

  • Wie lange bleibt das Produkt auf der Haut?
  • Wo auf der Haut kommt das Produkt zum Einsatz?
  • Sind betreffende Personen bettlägerig, normal aktiv oder sportlich?
  • Für welche Altersklassen soll das Produkt geeignet sein?
  • In welchen Klimazonen kommt es zum Einsatz?
  • Ist UV-Vernetzung möglich?
  • Auf welches Trägermaterial wird der Klebstoff aufgebracht?

Die letztgenannte Frage ist wichtiger, als es auf Anhieb scheinen mag. Denn einerseits geht es um die Verankerung – weshalb das Trägermaterial frühzeitig in die Evaluation einbezogen werden sollte. Anderseits ist der Träger in hohem Grad mitverantwortlich für die Eigenschaften des produzierten Pflasters.

Sind Tierversuche nötig?

Produkte für direkten Hautkontakt dürfen keine Hautirritationen oder Sensibilisierungen hervorrufen. Es braucht folglich Tests. Für Kosmetikprodukte sind tierexperimentelle Prüfungen schon seit längerem verboten. Für Dermatotherapeutika und damit auch für Hautpflaster sind sie derzeit noch erlaubt, stehen jedoch unter Kritik. Dies sowohl aus Gründen des Tierwohls als auch wegen teilweise fehlender Aussagekraft. So hat beispielsweise ein Vergleich der Ergebnisse von Hauttests an Kaninchen und Menschen gezeigt, dass fast die Hälfte der aufgrund von Kaninchentests erfolgten Einstufungen des Hautirritationspotenzials falsch war (M.J. Bartek et al. Skin Permeability In Vivo: Comparison in Rat, Rabbit, Pig, and Man. Journal of Investigative Dermatology 58 (1972): 114–123).

Seit kurzem gibt es die ISO-Teilnorm EN ISO 10993-23 «Biologische Beurteilung von Medizinprodukten – Teil 23: Prüfungen auf Irritation», welche darauf abzielt, In-vivo-Testmethoden zur Beurteilung von Hautirritationen zu reduzieren, zu verfeinern und zu ersetzen. Zum Einsatz kommt dabei sogenannte «rekonstruierte humane Epidermis» (RhE). Die In-vitro-RhE-Tests dürften In-vivo-Kaninchentests daher mittelfristig ersetzen.

Artimelt verzichtet seit einiger Zeit vollständig auf Tierversuche. Kunden müssen ihre Endprodukte strengen Tests unterziehen, welche die Hotmelts von artimelt jeweils ohne weiteres bestehen.

 

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Ian Grace

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